77 Tage sind nicht genug

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Andreas Berger lässt die 77 Tage des AKW-Ade-Camps vor dem BKW-Hauptsitz aufleben. Sein Film «77 Tage sind nicht genug» zeigt den Protest, der in der temporären Stilllegung des AKW Mühleberg gipfelte. Christoph Aebischer, BZ, 01.12.2011

«Hallo Paps, darf ich im Camp übernachten? Ich bin an vorderster Front, aber es passiert schon nichts.» Die 16-jährige Schülerin Stefanie Schärer aus Bern hängt lässig am Polizeiabsperrgitter bei der japanischen Botschaft, telefoniert mit ihrem Vater und schaut dabei keck in die Kamera von Andreas Berger. Gestellt ist die Szene nicht. Die AKW-Gegner wollten dem japanischen Botschafter im Mai ein Zeichen ihrer Betroffenheit zum Reaktorunglück in Fukushima überreichen. «Dort fiel mir Steffi auf», sagt der Berner Filmemacher heute. Deshalb wurde Stefanie zu einer der drei Hauptfiguren seines Films über das AKW-Ade-Camp auf dem Viktoriaplatz, das Bern und vor allem die BKW 77 Tage lang in Atem hielt. Berger bemüht sich nicht um einen neutralen Blick. Vielmehr begleitet er eine Bewegung, die sich nach der Kernschmelze in Fukushima ziemlich spontan entwickelte. Der Film zeichnet unter anderem nach, wie Stefanie politisch aktiv wird. Am 24.Mai 2011 streikten mit ihr viele Schülerinnen und Schüler. 2000 zogen Slogans proklamierend durch die Stadt. Mühleberg muss vom Netz, forderten sie.

Tränen bei der Räumung

Doch auch die AKW-Gegner der ersten Stunde erhalten im Film über das Zeltlager vor dem BKW-Hauptsitz in der Person des 61-jährigen Ruedi Jungen aus Frutigen eine Stimme. Der dritte Protagonist ist Tom Locher, der sich seit Jahren in der Reitschule engagiert. «Ich fragte bereits im Mai an einer Vollversammlung des Camps, ob es okay ist, wenn ich einen Film drehe», erzählt Berger, der Autor von «Zaffaraya 3.0». Diesen Freitag findet nun die Uraufführung seines neuen Films im Kulturzentrum Reitschule statt. Zwischen Aufnahmen des Campalltags, mit Auftritten von Künstlern wie Pedro Lenz oder Steff la Cheffe, zu den Donnerstagdemos und den Protestmärschen nach Mühleberg, streut Berger Interviews ein, in denen beispielsweise auch anwesende Polizisten sehr offen über ihre Rolle reden. Allmählich mauserte sich das Camp zu einer politischen Herausforderung, die mit der polizeilichen Räumung am 22.Juni endete. Stefanie weint Tränen der Enttäuschung.

Skeptische BKW

«Die BKW hatte vorerst Mühe mit dem Filmprojekt und wollte nicht mitmachen», sagt Berger. Letztlich willigte die Betreiberin des AKW Mühleberg dann Ende September in ein Treffen zwischen Stefanie Schärer und BKW-Sprecher Antonio Sommavilla ein. Desillusioniert muss die Schülerin feststellen, dass das AKW Mühleberg wohl nur aus taktischen Gründen zeitgleich mit der Räumung des Camps vom Netz ging. Denn seit der Sanierung liefert der «Schrottreaktor», wie die Gegner ihn im Film bezeichnen, wieder Strom. «Für mich ist diese Niederlage ein Ansporn», sagt Stefanie kämpferisch in Bergers Kamera. Berger gibt seinem Streifen folgerichtig den Namen «77 Tage sind nicht genug». Als Zeitdokument, das zwar Stellung bezieht, aber die andere Seite und ihre Argumente nicht ausblendet, legt der 78-minütige Film Zeugnis ab einer auch weit weg von Japan aufwühlenden Katastrophe. Formal fehlt ihm der letzte Schliff. Doch Berger setzte sich unter Zeitdruck: «Mir war von Anfang an klar, dass der Film noch in diesem Jahr herauskommen muss und nicht erst in fünf Jahren.»


 

Sommer 2011 – Sommer 2012, 66 Minuten
Der Film ist als Bonustrack auf der DVD «77 Tage sind nicht genug»

Zweite Halb(werts)zeit im Glaubenskrieg um Mühleberg
Ein Film mit Stephanie Schärer, Ruedi Jungen, Tom Locher, Christa Ammann, Manuela Bächtold, Cecile Keller, Jürg Joss u.a.
Produktion, Regie, Kamera, Ton und Schnitt: Andreas Berger

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