Der BUND vom 14. 08. 2000
Atom-Aufsicht unter Druck

AKW-SICHERHEIT / Alternde Reaktoren müssen sich bald im kalten Wind des offenen Strommarkts behaupten. Keine gemütliche Lage für die Atomaufsicht. Die beratende Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA) fordert, dass die Sicherheit von Atomkraftwerken alle zehn Jahre geprüft wird. Das sei im neuen Kernenergie-Gesetz zu verankern.

Autor: SIMON THÖNEN

Reaktorsicherheit ist ein schwieriges Thema. Dies musste Susan Boos, Fachjournalistin und Redaktorin der «WochenZeitung», bereits bei der Organisation einer Podiumsdiskussion erfahren. Das Gespräch fand am Freitagabend in Bern zwar statt, aber in reduzierter Besetzung. Nach längeren Verhandlungen fehlten Betreiber und AKW-Gegner auf dem Podium (siehe Kasten). AKW-Sicherheit ist aber auch ein schwieriges Fachgebiet. Die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) wendet verschiedene Kriterien und Methoden an, um die Sicherheit einer Anlage zu beurteilen. Dabei wechsle sie «von Fall zu Fall die Argumentation», sobald sie kritisiert werde, warf ihr Zuhörer Jürg Aerni vor, der Präsident der Aktion Mühleberg stilllegen. Erdbeben seien in Mühleberg zum Beispiel wahrscheinlicher als in den Richtlinien der HSK berücksichtigt. Noch im Mai hatte die HSK diese Kritik in einem Brief bestritten: «Die Aussage, dass der Erdbebenschutz für Mühleberg nicht gewährleistet sei, ist nicht zutreffend.» Auf dem Podium gab nun HSK-Direktor Wolfgang Jeschki zu: «Es besteht Handlungsbedarf.» Die Richtlinie werde überarbeitet und zugleich die Erdbebengefahr neu untersucht. Ergebnisse sollen in zwei Jahren vorliegen. Transparenz vermisste der Jurist der Schweizerischen Energie-Stiftung Leo Scherer: Nur ein Teil der atomrechtlichen Verfahren sei öffentlich. Kürzlich wurde bekannt, dass die Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG (KKG) als erster Betreiber eine Sicherheits-Verfügung der HSK mit einer Beschwerde bekämpft. Geheim bleibt aber, worüber sich KKG und HSK streiten. Auch der Entwurf für das neue Kernenergie-Gesetz bringe in diesem Punkt keine Verbesserung, kritisierte Scherer.

Wie strenge Kontrollen?
Die AKW müssen auf dem Stand von Wissenschaft und Technik sein. Das gelingt nicht vollständig, weil die Anlagen nicht rasch genug nachgerüstet werden können. Die Kontrolleure stehen damit immer wieder vor der Frage, wie viel Abweichung sie tolerieren können. «Die Schere zwischen dem Zustand einer Anlage und dem Stand der Technik öffnet sich nur langsam», meinte Michael Sailer, Mitglied der deutschen Reaktorsicherheits-Kommission, «im Einzelfall sind die tolerierten Abweichungen meist klein, aber sie summieren sich im Lauf der Jahre.» Aus diesem Grund fordert die schweizerische Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA), ein beratendes Gremium des Bundesrates, dass ein AKW alle zehn Jahre geprüft werden müsse. Ein solcher Passus sei im neuen Kernenergie-Gesetz zu verankern. In der Praxis habe die HSK bereits bisher die Werke etwa alle zehn Jahre gründlich geprüft, meinte zwar HSK-Direktor Jeschki. Bei Gösgen lag das Ergebnis allerdings erst zwanzig Jahre nach Betriebsbeginn vor. Und tatsächlich ergab sich eine Liste notwendiger Verbesserungen in rund 50 Punkten, die nun teilweise angefochten werden. Thomas Flüeler, Mitglied der KSA, genügen die bisherigen Kontrollen nicht: Neben Materialschäden müsse auch die «technologische Alterung» bewertet werden, also der wachsende Abstand des Anlagen-Konzepts zum Stand von Wissenschaft und Technik. Für ihn sind «auch der Betrieb einer Anlage, der Erhalt von Wissen und das eindeutige Bekenntnis des obersten Kraftwerk-Managements zu höchster Sicherheit entscheidende Bewertungsgrundlagen». Letzteres ist im offenen Strommarkt nicht mehr selbstverständlich. Flüeler belegt dies mit einem Zitat von Hans Achermann, Mitglied der Geschäftsleitung der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg: «Wichtig ist allerdings auch, dass nur so viel Sicherheit wie nötig und nicht so viel Sicherheit wie möglich eingebaut wird. Wenn Sicherheit übermässig behindert oder gar konkurrenzunfähig macht, muss das Sicherheitskonzept oder der Auftrag neu überdacht werden.» Er erwarte härtere Auseinandersetzungen mit den Betreibern, erklärte Werner Bühlmann, Chef des Rechtsdiensts im Bundesamt für Energie. Ein erstes Anzeichen dafür sei die Beschwerde im Fall Gösgen. Sein Fazit: «Auch wir werden in Zukunft schneller zu rechtlichen Mitteln greifen müssen.»

Betreiber fehlten
stb. Acht Leute hätten auf dem Podium über Reaktorsicherheit diskutieren sollen. Darunter auch die Leiter der Atomkraftwerke Gösgen und Mühleberg und zwei AKW-Gegner. Schliesslich fehlten aber Betreiber und Gegner auf dem Podium. Der Grund: Gisbert Straub, der Leiter von Mühleberg, hatte gefordert, dass die Referenten in die Gruppen «Befürworter», «Neutrale» und «Gegner» aufgeteilt würden und als Gruppe exakt gleich viel Redezeit erhielten. Strittig war vor allem die Einteilung des deutschen Experten Michael Sailer, der nach Straub zu den AKW-Gegnern gehört hätte. Dies obwohl er als Experte seit zwanzig Jahren Gutachten für Behörden verfasst und inzwischen Mitglied der deutschen Reaktorschutz-Kommission ist. Schliesslich verzichteten auch die AKW-Gegner auf die Podiumsplätze.

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