Der BUND vom 26. 08. 2000
«Ausstieg beginnt in Bern»

Atomenergie / Die Gegner des Kernkraftwerks Mühleberg wollen die BKW nicht angreifen. Vielmehr wollen sie den kantonalen Energie-Riesen für den liberalisierten Strommarkt fit machen.

Autor: Adrian Krebs
Die Berner Regierung eröffnete den Abstimmungskampf zur vorzeitigen Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg gleich mit ihrer Präsidentin, Dora Andres (siehe Bund vom 22. August). Damit wollte die politische Führung des Kantons die «staatspolitische Dimension» der Vorlage hervorheben. Ein Ja zu diesem Volksbegehren, das die Abschaltung des Atommeilers bis im Jahre 2002 verlangt, hätte für den Kanton erhebliche finanzielle Konsequenzen, argumentierte Dora Andres. Vier Tage später steigen nun die Befürworter der Initiative in den Ring. Und auch sie bauen auf die Schlagkraft prominenter Persönlichkeiten, um ihren Argumenten für die vorzeitige Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg den nötigen Nachdruck zu verleihen. So ist beispielsweise Simonetta Sommaruga, Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, überzeugt, dass die «wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mehr denn je für die Stillegung des Kraftwerks» sprechen würden. In Europa herrsche derzeit ein überangebot an Strom, und mit der anstehenden Liberalisierung des Strommarkts würden die Preise stark unter Druck geraten.

Gewinnen durch Stilllegen?
Nach Ansicht von Heini Glauser, Stiftungsratspräsident von Greenpeace Schweiz, «schwimmen die Bernischen Kraftwerke (BKW) derzeit im Strom». Der überschuss aus der eigenen Produktion und den Bezugsverträgen entspreche fast der Jahresproduktion des AKW Mühleberg (rund 2700 Gigawattstunden). Dies führe laut der SP-Nationalrätin Simonetta Sommaruga dazu, dass die Produktion des Reaktors in Mühleberg zu etwa 80 Prozent auf dem freien Markt «weit unterhalb der Gestehungskosten verhökert» werden müsse. In eigenen Berechnungen kommt die oberste Konsumentenschützerin deshalb zum Schluss: «Wird das AKW Mühleberg stillgelegt, entsteht - gemessen an den aktuellen Strompreisen - ein Bruttogewinn von jährlich 49,5 Millionen Franken.» Mit diesen Mitteln könnte der Kanton nicht nur die Stilllegung finanzieren, sondern auch Investitionen in die Produktion erneuerbarer Energie und in die effiziente Stromanwendung ermöglichen. Der Verein Bern ohne Atom, der im Juni 1999 die Verfassungsinitiative eingereicht hat, wolle die BKW weder abschaffen noch privatisieren, präzisierte die grüne Nationalrätin Franziska Teuscher. «Wir wollen aber die Energiepolitik der BKW umpolen und das Unternehmen fit machen für den liberalisierten Markt.»

«Risiko für die Bevölkerung»
Die AKW-Gegner verweisen in ihren Abstimmungsunterlagen zudem auf das «unannehmbare Sicherheitsrisiko», das von dem Atomkraftwerk ausgehe. «Gerade gestern wurde bekannt, dass die Risse im Kernmantel sich weiter vergrössert haben», verdeutlicht Sommaruga. Das seit 1972 betriebene Werk in Mühleberg sei veraltet und genüge den heutigen Sicherheitsanforderungen nicht mehr. Die Stimmbevölkerung des Kantons Bern habe ausserdem schon vor acht Jahren mit ihrer Absage an eine unbefristete Betriebsbewilligung und eine zehnprozentige Leistungssteigerung für den Atommeiler ein «klares Signal für den Ausstieg» gesetzt. Ein deutliches Zeichen habe auch Deutschland gesetzt, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Karin Rehbock-Zureich. Sie erhielt im Rahmen der Medienorientierung Gelegenheit, den «Beginn des Ausstiegs aus der Kernenergie in Deutschland» zu erläutern. Der viel gepriesene Konsens sei erst nach langen und zähen Verhandlungen zwischen der Regierung und den Kraftwerkbetreibern erreicht worden, sagte Rehbock. Damit dokumentierte sie zugleich, dass die Ausstiegsdebatte im nördlichen Nachbarland grundsätzlich anders geführt wird als in der Schweiz: Statt eine Kompromisslösung anzustreben, liegen sich hierzulande Gegner und Befürworter in den Haaren.

Zu viel Strom
adk. Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) des Kantons Bern unterstützt die Initiative des Vereins Bern ohne Atom, die eine vorzeitige Stilllegung des Atomkraftwerks in Mühleberg verlangt. Wie die AKW-Gegner ist auch der VPOD der Ansicht, dass die Bernischen Kraftwerke (BKW) «bedeutend mehr Strom» produzieren, als sie im Versorgungsgebiet verkaufen können. Mit Investitionen in effiziente Energienutzung und in erneuerbare Energien könnten zudem zukunftsorientierte Arbeitsplätze geschaffen werden.

Zurück zu Nachrichten