Der nukleare Wahnsinn nimmt kein Ende!

2022.03.11 Zum elften Jahrestag des Supergau in Fukushima (Japan)

Nachdem im zweiten Weltkrieg die Atombombe entwickelt und eingesetzt wurde, hielt am 8. Dezember 1953 der US-amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower vor der UN-Vollversammlung seine berühmte «Atoms for Peace» Rede. «Atomkraftwerke für den Frieden» sollen gebaut und der Menschheit Wärme, Komfort, Wohlstand bieten. Aus dem Traum wurde ein Albtraum!

Am 11.März 2011 kam es in Fukushima Japan durch ein Erdbeben mit darauffolgendem Tsunami zum Ausfall der Notstromversorgung und Kühlung mehrerer Atomreaktoren. Innerhalb kurzer Zeit folgten die Kernschmelze und Explosion, weite Landstriche wurden radioaktiv verseucht. Fukushima steht heute mit Windscale/Sellafield GB, Majak RUS, Tree Mile Island/Harrisburg USA, Tschernobyl UKR in der Reihe der grössten Atomkatastrophen.

Auch die Schweiz hat ihre nuklearen Erfahrungen gesammelt, 1969 kam es zu einer Teilkernschmelze im von Schweizer Ingenieuren entwickelten Atomkraftwerk Lucerne VD. 1986 kam es zu einem Versagen der Abluftfilter im AKW Mühleberg bei welchem radioaktive Aerosole in die Umgebung freigesetzt wurden. 2013 entdeckte die EAWAG bei Gewässeruntersuchungen radioaktive Rückstände aus Mühleberg im Bielersee[1]. Die Schweiz pokert hoch, sie betreibt mit Beznau einen der fünf ältesten[2] Atomreaktoren der Welt. Die Uralt-Anlage entspricht nicht dem Stand der Technik, ihr Reaktordruckgefäss ist geschwächt und der Schutz gegen äussere Einwirkungen ist bedingt durch das Baujahr völlig ungenügend.

Krieg und Atomkraft

Seit dem Überfall Putins auf die Ukraine, kommt die Atomkraft wieder zu trauriger Bekanntheit. Am 4. März 2022 kam es zu Kriegshandlungen um das Ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja. Dabei wurde ein Trainingsgebäude in Brand geschossen, das AKW mit seinen 6 Atomreaktoren selbst war durch den Angriff nicht beschädigt worden. In den darauffolgenden Tagen wurde jedoch bekannt, dass die Stromversorgung zum AKW nicht gesichert ist und dass die Kommunikation zum AKW ausgefallen ist. Auch im AKW Tschernobyl (4 stillgelegte Atomreaktoren) ist die externe Stromversorgung ausgefallen und die Kommunikation gekappt worden. Russland kontrolliert nun den Betrieb der AKW und deren abgebrannten Brennstäbe und Atomabfälle. Die ukrainischen AKW-Arbeiter stehen unter hohem Stress, schliesslich sind ihre Familien weiterhin dem brutalen Angriffskrieg von Putins Truppen ausgesetzt.

Atombombe?

Ein Eingreifen der Nato ist so lange unwahrscheinlich als kein Nato-Land angegriffen wird, da dies den Eintritt in einen Atomkrieg der Machtblöcke bedeuten würde. Europa und die Nato sind derweil dazu verdammt Putins Aggression in der Ukraine hilflos zuzuschauen. Diskutiert man den möglichen Einsatz der Atombombe, ist es wichtig zu wissen, dass es sich dabei heute nicht «nur» um die in Hiroshima und Nagasaki angewandte Waffe handelt. Heute gibt es kleine panzerbrechende Waffen mit Urangeschossen, wie sie die USA im Irakkrieg einsetzte; kleinere Strategische Atomwaffen und nicht zuletzt die bei terroristischen Angriffen gefürchtete «Schmutzige Bombe»[3]. Alle diese Waffen können in einem eskalierenden Krieg zum Einsatz kommen. Allen gemein ist, es bleibt Radioaktivität auf dem Schlachtfeld zurück. Die Hemmschwelle für den Einsatz panzerbrechender Waffen ist wie der Irakkrieg zeigte weit geringer, da diese furchtbaren Waffen im Einsatz gegen Panzerfahrzeuge jegliche Panzerung durchschlagen kann. Bisher gab es jedoch glücklicherweise im Ukraine-Krieg noch keine Hinweise auf den Einsatz solcher Waffen.

Krieg und Atomkraftwerk

Welchen Risiken ist ein AKW im Kriegsfall ausgeliefert? Im Krieg kann es in einem AKW bis zum GAU kommen, besteht ein AKW aus mehreren Reaktoren gar zum Supergau. Jedoch ist davon auszugehen, dass auch ein Aggressor kein Interesse an einem Atomaren Inferno hat. Im Falle des Ukraine Kriegs befinden sich die AKW nur Unweit der russischen Grenze, bei einem Vorfall wäre Putins eigenes Land vom nuklearen Krieg betroffen. Der Fall Ukraine zeigte jedoch bereits ein kritisches Ausmass. Fehlende Kommunikation, fehlendes Netz, Beschuss des Areals und Reaktorführer welche unter enormem psychischen Stress stehen.

Fehlende Kommunikation

Energieerzeugungsanlagen kommunizieren untereinander, um Ausfälle von Erzeugungsanlagen auszugleichen. Weiter tauschen AKW ihre Daten mit der Zentrale des Energieerzeugers und der Atom Aufsichtsbehörde. Ausserdem sind sie auch im Austausch mit der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA (Vereinigung zur Förderung der Nutzung der Atomenergie) welche die Aufsicht über Kernmaterialbestände und den Zustand der AKW ausübt. Im Notfall agiert sie als Meldezentrale und bemüht sich um Hilfestellung in Krisensituationen. Putin hat bereits die Kontrolle über die AKW Tschernobyl und Saporischschja, somit kontrolliert er die Stromabgabe in der Ukraine. Er bestimmt, wo Strom zur Verfügung steht undwo nicht, die Netzbetreiber müssen sich nach ihm richten. Und die IAEA hat über die Anlagenzustände und Kernmaterialbestände und Abläufe im AKW keine Kontrolle mehr.

Fehlendes Netz

Sobald ein Atomkraftwerk abgeschaltet ist, benötigt es Energie von aussen, um die Kühlung der Atombrennstäbe aufrechterhalten zu können. Diese Kühlung erfolgt mittels Pumpen welches Kühlwasser aus Gewässern und Kühlwasser in Kühltürme pumpen. Fehlt die Stromversorgung von aussen (also Stromversorgung durch andere Kraftwerke) stehen im AKW Dieselgeneratoren zur Verfügung, welche dann die Pumpen versorgen. Diese Dieselgeneratoren wiederum benötigen Dieseltreibstoff als Energiezufuhr, dieser liegt in Reservetanks vor. Im Falle des AKW Saporischschja ist ein Dieselvorrat von 7 Tagen vorhanden, danach muss neuer Diesel herangeschafft werden. Im Kriegsfall ist dies das Risiko; erfolgen die Transporte, Lieferungen nicht rechtzeitig ist die Brennstoffkühlung nicht mehr gewährleistet, im schlimmsten Fall kommt es (wie in Fukushima) zur Kernschmelze. Beim AKW Tschernobyl sind die Brennstäbe schon Jahrzehnte in Kühlbecken, deren Nachzerfallswärme ist heute dermassen gering, man geht davon aus, dass das Kühlwasser ohne zusätzliche Kühlung eine Kernschmelze verhindert. Die Atomanlage Saporischschja verfügt über ein nahegelegenes fossiles Kraftwerk, welches im Falle eines Netzausfalls zusätzlich elektrische Energie liefern kann (ähnlich den Schweizer AKW welche meist ein nahegelegenes Wasserkraftwerk als Netzreserve haben).

Beschuss des Areals

Beim Beschuss des AKW Saporischschja wurde in den Wirren ein Trainingsgebäude auf dem Areal beschossen. Also kein Anlagenteil der für die Sicherheit des AKW relevant ist. Der Beschuss eines AKW ist im «Kriegsrecht» verboten, doch was nützt das? Das grosse Risiko besteht darin, dass für die Kühlung relevante Anlagen beschossen und ausser Betrieb gesetzt werden. Zum Beispiel die Pumpengebäude welche das Wasser aus dem nahegelegenen See/Fluss pumpen. In Saporischschja hat jeder der 6 Reaktoren ein Pumpengebäude, es müssten für den schlimmsten Fall also 6 Gebäude getroffen werden. Der Reaktor selbst hat ein Containment, eine Schutzhülle, welche ihn vor äusseren Gefahren schützen soll. Welche Angriffe ein solches Contaiment aushalten kann ist abhängig vom Alter, der Lage und der Konstruktion. Es wird immer darauf hingewiesen, dass ein Containment einem Flugzeugabsturz standhalten könne, jedoch haben sich Durchschlagskraft von Waffensystemen und die Grösse von Flugzeugen gegenüber dem Zeitpunkt der Auslegung des Containments stark vergrössert. Gelingt es ein Containment zu durchschlagen ist weiter die Frage, kommt es zum Brand oder reicht die schiere Explosion, um Rohrleitungen zu brechen, abzureissen. Dabei kann es dann auch zur Kernschmelze kommen und infolge zum GAU. Deshalb ist zu hoffen, dass in einem Kriegsfall gut instruierte Truppen mit Sachkenntnis eingesetzt werden.

Reaktorführer unter Psychischen Stress

Bei der Einnahme des AKW Tschernobyl war dasselbe Personal über Tage hinweg im AKW verblieben. Sie hatten wenig Informationen wie es ihren Angehörigen, Freunden, Bekannten geht. Dies führt zusätzlich zur Entbehrung zu einem hohen Psychischen Stress. Der AKW-Betrieb ist der Umgang mit einer Hochrisikotechnologie, bei welcher Abläufe in Sekunden zu hohen Leistungssteigerungen- oder Abfällen führen kann. Bei den tausenden von Bediengeräten wie Computermonitore, Anzeigegeräte, Schalter und Knöpfen ist es wichtig mit Routine arbeiten zu können. Teils müssen im Notfall auch manuell in der Anlage vor Ort Klappen oder Ventile bedient werden, Fehlbedienungen können zu grossen Problemen führen. Im Falle der Ukraine bedeutet dies, dass Dörfer um das AKW verschont bleiben müssten, so dass sich die ArbeiterInnen im AKW nicht sorgen müssen. Das Personal muss vermehrt rotieren und sich zwischen den Schichten erholen können.

Aus den Atomkatastrophen der Vergangenheit hat die Menschheit keine Lehren gezogen, der nukleare Albtraum nimmt kein Ende!

Krieg und Energie

Infolge des Kriegs in der Ukraine sieht sich Europa mit einer völlig neuen Energiesituation konfrontiert. Die grosse Abhängigkeit von Russlands Gas-, Öl- und Kernbrennstofflieferungen wirft die Europäischen Energieszenarien über den Haufen. Verzweifelt wird um die Energieversorgung für den nächsten Winter diskutiert. In Deutschland fordern erste Politiker den «Ausstieg aus dem Atomausstieg» ungeachtet dessen, dass Strom nicht durch Gasversorgungsleitungen fliessen wird. Mit Gas beheizte Gebäude und Industrielle Prozessanlagen können nicht so einfach vom Verbrennen Fossiler Energieträger auf einen elektrischen Energieträger umstellen.

Das sich Europa und die Schweiz im Zuge des Klimawandels nicht schneller auf die alternative dezentrale unabhängige Energieerzeugung hinwandte, rächt sich nun. Allzulange waren Solarthermische- und elektrische Anlagen belächelt worden, wurden Windräder verhindert. Rückständige Kreise wollten unbeachtet der Atomaren Risiken erneut neue AKW bauen, AKW deren Bauzeiten viel zu lange dauern. Und seit Beginn des Kriegs, scheint ein grosser Teil der Bevölkerung gar das Risiko der AKW-Laufzeitverlängerung eingehen zu wollen. Der Krieg in der Ukraine zeigt einmal mehr, Atomkraft birgt zu viele Risiken! Was es jetzt braucht ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Wird ein Solarpanel beschossen muss sich niemand vor radioaktiver Verseuchung zu fürchten!

PS: Unser grösstes Energiepotenzial ist die Energieeffizienz!

Haben wir einen Energienotstand? Immer noch speisen wir in der Schweiz Millionen Handy-Ladegeräte im Leerlauf, heizen wir schlecht isolierte Häuser, heizen wir mit Elektroheizungen, heizen wir Wasser mit Elektroboiler anstelle mit Wärmepumpen-Boilern, lassen wir Leuchtreklamen die ganze Nacht hindurch brennen, lassen wir Strassenbeleuchtungen auch nach Mitternacht brennen…. Daraus folgt, mit der letzten produzierten elektrischen kWh wird die Menschheit wohl nichts Sinnvolles tun!

Weiterreichende Informationen:

https://www.iaea.org/ukraine-conflict

https://www.grs.de/de

[1] https://www.fokusantiatom.ch/?page_id=1161

[2] https://www.fokusantiatom.ch/?page_id=569

[3] Einsatz konventionellen Sprengsatzes, der bei seiner Explosion radioaktives Material in der Umgebung verteilt